Kurzgeschichten

Übergangsweise – Teil 3.

Nnizard

„Da wären wir wieder“, flötete Runna und schloss die Tür.

Das Kaninchen reckte sich und schnupperte angeregt. Er stellte den Korb auf den Tisch, griff hinein und zog eine Möhre heraus, die er dem Tier hin hielt.

„Du sollst mir schließlich nicht verhungern, solange ich weg bin.“

Sich selbst bediente er ebenfalls. Schließlich war ihm Gemüse in der Fastenzeit nicht untersagt – jedenfalls in Maßen.

In derselben Zeit, die das Kaninchen benötigte, um die Hälfte der seinen zu knabbern, ver-schlang Runna gierig drei der saftigen Rüben. Dann begab er sich in den hinteren Teil seines Büros und begann damit, seinen Schrank nach einer passenden Robe zu durchsuchen. Kurz darauf trat er in seidiges Blassrot gekleidet hinter dem Wandschirm hervor.

Mit dem Rat, sich das Essen einzuteilen, legte er dem Kaninchen vier weitere Möhren hin, sammelte seine Bücher und Unterlagen für den Unterricht ein und verschwand. Im Hinausgehen schüttelte er grinsend den Kopf.

Als ob das Tier verstand, was er sagte!

Zylinderüberraschung_03

Der Rat des schuppenbewehrten Magiers, sich die Möhren einzuteilen, erwies sich als äußerst klug. Denn obwohl Puschkin sogar besonders langsam knabberte und für eine Möhre jeweils zwei sehr sehr lange Möhrenknabberlängen brauchte, war der letzte Krümel verputzt und der Magier noch immer nicht zurückgekehrt.

Aus Langeweile hoppelte Puschkin in dem Zimmer herum, schnüffelte an Möbelstücken, warf einen Blick darunter, schnüffelte erneut, atmete Staub ein und musste niesen. Während er sich das Näschen putzte, entdeckte er einen Schatz.

An einer Seite des Raums ragte ein goldbraun glänzender Schrank empor, der mit Büchern und Schriftrollen vollgestopft war. Mit wenigen Hüpfern hatte Puschkin diesen Hort des Wissens er-reicht. Seine Schnurrhaare zitterten vor Aufregung und er stellte sich auf die Hinterbeine. Die Bücher standen hinter Glas, so dass er sie nicht erreichen konnte. Außerdem vermochte er ohnehin nicht zu lesen. Er ließ sich wieder auf alle Viere nieder und betrachtete den Bücherschrank noch eine Weile nachdenklich. Er würde der Schuhmaus von diesem Schatz erzählen, sich aber hüten, den Bücherborkenkäfer einzuweihen.

Beide verschlangen Bücher geradezu.

Seite um Seite.

Der Unterschied bestand darin, dass der Bücherborkenkäfer diese Redewendung wörtlich nahm.

Puschkin seufzte. Allmählich gab es nichts mehr zu entdecken und ihm war schrecklich langweilig. Er sehnte sich danach, das vertraute Klingeln zu hören, doch nichts tat sich.

Stattdessen betrat nun endlich der schuppenbewehrte Magier sein Zimmer. Sanft strich er Puschkin über Kopf und Rücken, stellte dann seine Tasche ab und nahm an dem hohen Tisch Platz, unter dem er Puschkin angetroffen hatte. Immer wieder griff er in die Tasche und holte Dinge daraus hervor und legte sie vor sich auf den Tisch. Ab und an hörte Puschkin, wie er vor sich hinmurmelte. Was der Magier tat, sah das Kaninchen nicht.

Neugierig hoppelte er daher zum Stuhl, stellte sich auf die Hinterbeine, lehnte sich mit einer Vorderpfote gegen des Magiers Bein und nickte leicht. Der Magier sah zu ihm hinunter.

„Ich hab jetzt kein Futter für dich“, sagte er und hob entschuldigend die Arme. „Später. Jetzt muss ich arbeiten.“

Der Magier wandte sich wieder den Dingen auf dem Tisch zu. In Puschkin jedoch brannte die Neugier und so ließ er sich nicht abwimmeln. Weiter an das Bein des Magiers gelehnt, stupste er nun mit der Nase gegen dessen Arm und hob das zweite Vorderbein zum Zeichen, dass er nach oben wollte. Wieder sah der Magier zu ihm hinunter. Dann lachte er laut, dass Puschkin die Ohren anlegte und die Schultern hochzog.

„Sag bloß, du willst mir bei der Arbeit zuschauen?“, fragte der Magier.

Puschkin zuckte zur Antwort mit dem Näschen.

Anscheinend hatte der Magier ihn verstanden, denn er hob ihn hoch und ließ ihn auf seinem Schoß nieder. Puschkin legte die Vorderpfoten auf die Tischkante und spähte darüber. Auf dem Tisch lag jede Menge beschriebenes Papier. Manche Stellen waren mit roter Farbe markiert. Auf einigen Seiten war nur wenig Rot, auf anderen hingegen so viel, dass es Puschkin vorkam, als marschierten alle vier Kartenheere auf.

In den folgenden endlos langen Möhrenknabberlängen sah das Kaninchen dem Magier bei der Arbeit zu, ohne zu verstehen, was dieser tat. Oder warum dieser von Zeit zu Zeit mit Leuten schimpfte, die nicht anwesend waren. Zwar war das nicht weniger langweilig als auf dem Boden zu auszuharren, doch auf dem Schoß des Magiers fühlte Puschkin sich behaglich. So verwunderte es nicht, dass er sich irgendwann einrollte und einschlief.

Fortsetzung folgt …

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