Rezension

Von Nixen, Hexen und so vielem mehr

Diese Rezension ist ein Beitrag zu #QueerBuchMontag, ins Leben gerufen von Amalia Zeichnerin. Das heutige Thema ist queere Phantastik und da wollte ich eine Anthologie vorstellen, zu der ich selbst einen Beitrag beigesteuert habe.

Jana Walther (Hrsg.), Ayumi und die Prinzessin der Meere. Märchen von der Liebe unter Frauen (2020) 389 Seiten. ISBN 979-8-5888-6134-2.

Die erste Idee, die sich in meinen Kopf stahl, als ich über die Ausschreibung zu einer Anthologie lesbischer Märchen stolperte, war eine Adaption von Hans Christian Andersens „Die kleine Meerjungfrau“. Da konnte ich noch nicht ahnen, dass Nixen die dominante Spezies sein würden. Was heißt „dominant“. Das klingt geradezu, als tummelten sich in „Ayumi und die Prinzessin der Meere“ kaum andere Wesen. Doch wer das liebevoll von Jana Walther selbst herausgegebene Buch aufschlägt, wird neben der titelgebenden Prinzessin der Meere und ihrer geliebten Ayumi, sehr schnell auf Drachendamen, pfiffige gestiefelte Katzen, tapfere Prinzessinnen, Kräuterhexen, Drachenzähmerinnen, vieltentakelige Meerhexen, streitbare Lichtermädchen und viele, viele mehr treffen. Alle Geschichten verbindet das Märchenhafte und die Liebe zwischen Frauen, wobei nicht gesagt ist, dass jedes Märchen gut ausgeht und jede Liebe Bestand hat.

In „Ayumi und die Prinzessin der Meere“ erwarten euch achtzehn Geschichten von ebenso vielen Beteiligten, die ich in der Reihenfolge vorstellen möchte, in der sie im Buch zu finden sind. In einigen der Märchen werden Eifersucht unter Geschwistern, missbräuchliche Eltern, Ausgrenzung und Einsamkeit thematisiert.

Wie in so vielen Märchen spielt in „Der Drache mit den Sternenaugen“ von Anja Lehradt die Zahl Drei eine besondere Rolle. Es macht Spaß zu bemerken, wie im Laufe der Erzählung über eine verfluchte Prinzessin und eine Müllerstochter die in der Vorgeschichte eingestreuten Details nach und nach wieder aufgegriffen werden.

Fandet ihr den gestiefelten Kater schon dreist, so wartet, bis ihr Mercy Cunninghams Mina, besser bekannt als „Die gestiefelte Katze“, kennengelernt habt.

Nach Japan entführt uns Eva Andersson in der titelgebenden Geschichte „Ayumi und die Prinzessin der Meere“. Die Eifersucht ihres Bruders Ryotaro verfolgt die junge Ayumi von Kindesbeinen an. Als er sie ins Meer wirft, um sie ertrinken zu lassen, ist es eine Prinzessin der Meere, die ihr zu Hilfe eilt.

„Sieh mit dem Herzen“. Das ist der Rat, den Prinzessin Arabella in dem Märchen von Nikki Reva erhält, nachdem sie aus Trauer über den Verlust ihrer geliebten Majena Waldgeister um Hilfe bittet. Ohne zu ahnen, dass diese dem Befehl ihres Vaters folgen, der Majena überhaupt erst fortschickte.

Jedoch möchte ich an dieser Stelle nicht zu viel darüber verraten, was Arabella durch die Waldgeister widerfährt, sondern stattdessen zu einer Wette überleiten, die „Die königlichen Geschwister“ in der gleichnamigen Geschichte der Herausgeberin Jana Walther eingehen, um herauszufinden, welches Geschlecht der geheimnisvolle Gast am Hofe hat.

„Das Herz einer Löwin“ beweist Apollina, die Tochter eines Schmiedes, als sie aufbricht, um ihre Mutter zu suchen, nachdem ihr Vater ihr erzählt, dass diese nicht bei ihrer Geburt gestorben, sondern in ihre Heimat zurückgekehrt sei. Jan Jürgenson lässt Apollina durch das antike Griechenland reisen, von Delphi über Athen bis nach Kreta und darüber hinaus, in dem sich Gottheiten ebenso tummeln wie Amazonen.

„Von der Nixe und dem Menschsein“ erzählt meine Wenigkeit. Auf ihrem Blog „frauverliebt“ stellt Lina Kaiser die Anthologie vor und liest auf wundervolle Weise meine Adaption von Hans Christian Andersens kleiner Meerjungfrau.

Um die Frage, ob man sich einmischen sollte, wenn anderen Unrecht geschieht, und um die Folgen, die sich daraus entwickeln können, dreht sich Mo Kasts „O Hexenkind, mein Hexenkind“.

Liebe ist, gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Das tun Halbnymphe Rosalie und Prinzessin Ayana in Kuro Umis „Rosalie & Ayana“, als sich durch ihre Liebe das Problem der ungeklärten Thronnachfolge ergibt.

„Das Geheimnis des kupfernen Löffels“ ist nicht das einzige, das es in der gleichnamigen Erzählung von Jobst Mahrenholz zu ergründen gilt. Was hat es beispielsweise mit dem Fluch auf sich, der dem jungen Nael, der besagten Löffel für die Kräuterhexe Aylin fertigen soll, einst nicht nur die Stimme, sondern sechzig Jahre seines Lebens raubte? Und warum ist Prinzessin Yara, für die Aylin in Liebe entbrannt ist, so bösartig?

Sarah Natusch stellt in „Aquamarin“ die Frage, was wohl nach dem Ende von Hans Christian Andersens kleiner Meerjungfrau in ihren vielen Schwestern vor sich ging. Würde nicht vielleicht eine von ihnen Rache üben wollen?

„Der Geschmack nach Zuhause“. Was das für Lisha, die Jägerin und Heldin von Annina Anderhaldens Beitrag, ist, erfahrt ihr, wenn ihr dieses Märchen über Rache und die Frage, was glücklich macht, lest.

„Das Lied der Sirene“ lockt Menschen in den Tod und die im See gefangene Selina kann nichts dagegen tun, denn der Fluch der Hexe, der auf ihr liegt, ist mächtig. Es bedarf eines Einfalls der klugen Bauerstochter Melinda, mit der es mehr auf sich hat, als man zunächst vermutet. Ein wundervolles Märchen über falsche Anschuldigungen, Aufopferungsbereitschaft und Klugheit, erzählt von Nadine Engel.

Ganz besonders verzaubert hat mich Bettina Barkhovens „Märchen von den Lichtermädchen und den Stechpalmenrittern“. Uns wird berichtet, wie die Lichtermädchen sich gegen die in ihr Reich marschierenden Stechpalmenritter wappneten, um zu verhindern, dass diese auf der Suche nach Bräuten zwei einander liebende Lichtermädchen wie Tilia und Cordata auseinanderreißen. Die Lösung des Problems erfolgt auf außerordentlich pfiffige Weise. An mehreren Stellen wird die Erzählung und die Erzählstimme gibt ihren Senf dazu, um beispielsweise Kritik zu üben am Umgang der rein weiblichen Gesellschaft der Lichtermädchen mit jenen, die männliche Wesen lieben, und mit jenen, die tief in ihrem Innern wissen, dass sie keine Lichtermädchen, sondern Lichterjungen sind. Die hier erschaffene Welt ist aus filigranen Worten gewebt und erinnert mich ein wenig an Erzählungen von Fabienne Siegmund.

In „Dornenherz“ ist es kein Jäger, sondern eine Jägerin, die Prinzessin Liliana im Auftrag ihrer Stiefmutter töten soll. Doch „Schneewittchen“ ist nicht das einzige Märchen, das Serena C. Evans in ihre Erzählung über Vertrauen und Hoffnung hineingewoben hat.

Drachen sind missverstandene Geschöpfe [2]. So landet längst nicht jede Prinzessin im Nest eines Drachen, weil dieser sie entführt hat. Manch eine, wie Prinzessin Auri, folgt einem Drachen aus reiner Abenteuerlust. Wenn sie dann jedoch versäumt, den König über die Freiwilligkeit ihres Aufbruchs aufzuklären, kann es schon mal vorkommen, dass der eine Drachenzähmerin wie Quinn und ein paar Bewaffnete losschickt, um die Prinzessin aus den Klauen des vermeintlichen Untiers zu „retten“. Wie die Sache ausgeht, erzählt Julia Kohlhaussen in „Die Königstochter & die Drachenzähmerin“.

Hans Christian Andersens „Die kleine Meerjungfrau“ hat auch Katharina Ushachov inspiriert. In „Die Gefallenen“ ist jedes Wort erfüllt von klirrender Kälte, Schmerz, Sehnsucht und Stille. Schnee und Eis bedecken die Stadt, in der es immer dunkler wird und das Meer zwei Seelen zu sich ruft.

„Von einer unerwünschten Liebe“ zwischen zwei Prinzessinnen erzählt Saskia Rönspies, aber auch von sprechenden Pferden, dem Aufeinanderprallen unterschiedlicher Kulturen, einer missgünstigen Stiefmutter und Beziehungsangst.

Ich wünsche viel Vergnügen bei der Lektüre.

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[2] Das wusste schon der Verlag ohneohren und hat dem Thema „Missverstandene Monster eine ganze Anthologie gewidmet.

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