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Legitimierung

Nur für den Fall, dass es irgendwer noch nicht verstanden haben sollte:

„Kein Wunder, dass die Gewalt gegen euch queere Menschen zunimmt, schließlich geht ihr den Leuten mit eurem Fahnengeschwenke und eurer penetranten Sichtbarkeit nur noch auf die Nerven!“

ist das Äquivalent zu

„Kein Wunder, dass du vergewaltigt wurdest, du hast es mit deinem Aussehen ja geradezu provoziert!“

oder

„Kein Wunder, dass du vor die Straßenbahn geschubst wurdest! Was standest du auch im Weg rum?“

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Abgesehen davon, dass durch Aussagen wie diese die Verantwortung für Gewalt denjenigen in die Schuhe geschoben wird, denen Gewalt angetan wird, womit die Gewalttätigen von jeder Verantwortung und jeder freien Entscheidungsmöglichkeit freigesprochen werden, wird Menschen, die andere einfach nur hassen, weil diese existieren, ein scheinbar legitimer Vorwand geliefert.
Bei Aussagen wie diesen handelt es sich um geistige Brandstiftung, verübt von Leuten, die von sich behaupten, tolerant zu sein, deren Toleranz aber nur so weit geht, wie etwas in ihrem Alltag und ihrem Leben nicht erwähnt wird, nicht sichtbar ist und schlicht nicht existiert.
Weil sie wissen, dass sie ihrer queerfeindlichen Einstellungen wegen zu Recht kritisiert werden, greifen sie nicht selbst zu Gewalt, heißen sie aber implizit gut, wie ihre Äußerungen deutlich machen.
Auf diese Weise können sie jederzeit vor anderen und sich selbst vorgeben, immer noch eine saubere Weste zu haben. Schließlich sind es ja immer nur die Anderen, die Gewalt ausüben.
Das seien die, die wirklich queerfeindlich seien. Sie doch nicht! Sie seien schließlich tolerant.
Bei jenen Anderen sollten wir uns beschweren, denen sollten wir auf die Nerven gehen und sie, die Toleranten, doch bitte in Ruhe lassen und sie und ihre Welt nicht stören.
Solange wir das nicht tun, solange wir in ihrer Welt weiter sichtbar bleiben und nicht schweigen, können sie sich nicht weiter ungestört vorlügen, sie würden uns tolerieren.
Folglich bleibt ihnen leider nichts anderes übrig.
Folglich lassen wir ihnen ja gar keine andere Wahl, als sich des Mittels der geistigen Brandstiftung zu bedienen, vollstes Verständnis dafür zu zeigen, wenn Leute von uns genervt sind – sie sind es schließlich auch – und deshalb zu Gewalt greifen.
Geistige Brandstiftung ist also nichts anderes als Notwehr von Seiten der Intoleranz.
Und wir hören einfach nicht damit auf, den Leuten damit auf die Nerven zu gehen, dass wir unsere Rechte einfordern, dass wir auf Diskriminierung hinweisen, dass wir aufklären und dass wir einfach nur existieren.
Würden wir doch nur die Klappe halten, dann müssten sie sich nicht genötigt fühlen, Gewalt gegen uns zu legitimieren.
Und dann käme es auch zu weniger Gewalt, weil die Leute keinen Grund mehr hätten.
Selbst schuld, sagen sie.

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Was sie dabei nicht realisieren, ist das, was daraus folgt, sobald „Ihr nervt!“ zum legitimen Grund für Gewalt gegen andere erklärt wird.
Wer garantiert dann, dass nicht irgendwer bei nächster Gelegenheit entscheidet, dass sie es sind, die ganz gewaltig nerven mit ihrer Intoleranz, und dass das ausreicht, um ihnen eine aufs Maul zu geben? Oder Schlimmeres?
Würde mich mal interessieren, ob sie dann so konsequent wären zu sagen:
„Selbst schuld! Was hab ich auch genervt?“

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