Rezension

Warum ist das für andere so wichtig?

Eigentlich, so dachte ich zunächst, wäre die „1. Frauenleserin Blogparade zum Jahresende“ nichts für mich. Weil ich nämlich auf den ersten Blick nur die erste von fünf Fragen im Sinne der Veranstalterin hätte beantworten können. Nicht, ohne meine beiden Literarischen Halbjahresrückblicke zu Rate zu ziehen, aber immerhin 😉

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Worum geht es?

Einfach gesagt, um Sichtbarkeit von Autorinnen. Weil, laut einem Beitrag des NDR, nur ein Drittel der rezensierten Bücher von Frauen stammen. Es wird die berechtigte Frage gestellt, nach welchen Kriterien die rezensierten Bücher ausgewählt werden. Nun, ich stelle mir das folgendermaßen vor: Wäre ich Redaktionsmitglied, würde ich mir in erster Linie Werke aussuchen, die mir inhaltlich zusagen, damit das Risiko geringer ausfällt, mich hindurchquälen zu müssen. Ich achte also auf den Inhalt. Nicht darauf, wer das Werk geschrieben hat oder welchem Geschlecht die Person angehört. Das registriere ich quasi nebenbei, weil es für mich keinerlei Relevanz besitzt. Inhalt, Aufbau und Stil sind es, die mich interessieren und die für mich ausschlaggebend dafür sind, ob mich ein Werk begeistert oder nicht. Nach diesen Kriterien wähle ich auch die Werke, die ich für meinen Blog rezensiere.

Nach Geschlecht auszuwählen würde implizieren, dass diesem Merkmal eine bestimmte Aussagekraft im Zusammenhang mit dem Inhalt beigemessen wird, die in meinen Augen nicht vorhanden ist. Meiner Wahrnehmung nach unterscheiden sich Frauen und Männer zwar biologisch und je nach Umfeld in ihrer Sozialisation, aber weder in ihren Fähigkeiten noch in ihren Charaktereigenschaften – was vor allem in jenen Werken bestätigt wird, die mich in den vergangenen zwei Jahren am nachhaltigsten beeindruckt haben, wenn eins einmal von Agatha Christies „Verdrängter Verdacht“ absieht – und das stammt immerhin aus dem Jahre 1944.

Mich irritiert ja schon immer, wenn Leute sich lieber von einer Person des eigenen Geschlechts medizinisch untersuchen oder therapeutisch beraten lassen wollen, häufig mit der Begründung, jemand vom eigenen Geschlecht könne sich besser einfühlen. Mir war nicht bekannt, dass Männer und Frauen unterschiedlich empfinden. Sie machen innerhalb einer Gesellschaft, in der Geschlechterrollen tradiert und bestärkt werden, und sicher auch aufgrund biologischer Unterschiede bisweilen unterschiedliche Erfahrungen, keine Frage. Aber die Aussage, sie würden sich aufgrund ihres Geschlechts auch charakterlich sowie in ihren Interessen und Fähigkeiten unterscheiden, erscheint mir sexistisch. Denn die unterschiedlichen Erfahrungen rühren von unterschiedlichem Umgang her aufgrund von Zuschreibungen, aufgrund von Rollenbildern, nicht von tatsächlichen Unterschieden.

Als biologisch weibliche Person habe ich zwar keinen Stimmbruch erlebt, aber ich kann mir vorstellen, dass es ebenso wie andere Begleiterscheinungen der männlichen Physis (Stichwort: Morgenlatte) unter Umständen verdammt peinlich sein kann. Weil ich in der Lage bin, mich einzufühlen, indem ich mir die simple Frage stelle: Wie würde ich mich fühlen, wenn … ?

Und genauso machen Schreibende das auch. Sie versuchen, sich vorzustellen, wie sie anstelle einer Figur fühlen, denken und handeln würden, die bestimmte Dinge erlebt.

Jetzt wirkt meine Wahrnehmung bezüglich der Gewichtung des biologischen Geschlechts für viele in meinem Umfeld durchaus ein wenig … seltsam. Irritierend. Gelegentlich sogar nervtötend, wenn ich in einem besonders klischeebeladenen Gespräch meine Sicht dagegenhalte – vor allem auf Leute, die sich nur zu gerne irgendwelcher Klischees bedienen. Mir fällt immer wieder auf, dass Unterschiede künstlich verstärkt werden. Dadurch, dass Menschen Rollen spielen, sich der Rolle gemäß verhalten und eine Maske tragen. Dieser Eindruck verstärkt sich bei mir dadurch, dass ich einen Menschen umso schlechter einschätzen kann und als umso „unechter“ und verschlossener wahrnehme, je mehr dieser Mensch sich an einem Rollenbild orientiert. Dann sehe ich nur die Maske, nur die Rolle, nicht die Person dahinter. Einem solchen Menschen komme ich nicht nahe, den verstehe ich nicht, in den kann ich mich nicht einfühlen.

Wie bereits erwähnt, irritiert mich, wenn jemand behauptet, Männer könnten sich nicht in Frauen einfühlen und umgekehrt. Dann muss ich ein Mann sein, denn obwohl ich zwar die Gründe kenne, warum viele Frauen in Deutschland vor allem nachts oder in menschenleeren Gegenden Angst haben, alleine unterwegs zu sein, kann ich es weder rational noch emotional wirklich nachvollziehen. Im Dunkeln habe ich nur Angst davor, einen Hundehaufen, eine Wurzel oder ein Schlagloch zu übersehen – oder einem Wildschwein über den Weg zu laufen. Gruppen von Betrunkenen oder Jugendlichen machen mich nervös, weil sie auf mich unberechenbar wirken und ich fürchte, ausgelacht oder zugelabert zu werden. Sexuelle Belästigung oder Körperverletzung sind nicht auf meinem Schirm. Ich habe weder Angst davor, alleine zu reisen, noch davor, in einem Viererzimmer mit drei wildfremden Männern zu übernachten. Warum auch?

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Erwähnte ich schon, dass ich im ersten Moment nicht an der Blogparade teilnehmen wollte?

Dass ich es doch tue, liegt eben in meinem etwas anderen Blickwinkel begründet. Derselbe Grund, der mich erst davon abgehalten hätte.

Kommen wir zu den fünf Fragen:

1) Wie hoch ist Deine „Frauenquote“? Wieviele Bücher hast Du in diesem Jahr gelesen und/oder rezensiert? Wieviele davon wurden von Autorinnen verfasst?

Gelesen habe ich 40 Bücher, davon 9 Anthologien. Sieben dieser Anthologien enthalten Werke von unterschiedlichen Autor*innen, daher fallen sie aus der Betrachtung raus. Von den 33 übrigen Büchern stammen 11 von Autorinnen und 22 von Autoren, allerdings stehen von manchen Autor*innen mehrere Werke auf der Liste. Christian von Aster schlägt beispielsweise dreimal zu Buche (einmal mit Carsten Steenbergen), James Clemens zweimal, Peter V. Brett sogar fünfmal. Das wären somit 11 Autorinnen und 16 Autoren – ein beinahe ausgewogenes Verhältnis.

Die Bücher von Autorinnen, die ich 2018 gelesen habe, sind folgende:

Gabrielle C. J. Couillez, Die Rückkehr der Störche. Die bewegte Jugend des Georg Wilhelm Schimper (Waldkirch 2017) 347 Seiten. ISBN 978-3-86476-096-9.

Carmilla DeWinter, Jinntöchter. K_ein orientalisches Märchen (Edition Roter Drache 2017) 334 Seiten. ISBN 978-3-946425-41-0.

Rita Falk, Winterkartoffelknödel (dtv 2010) 230 Seiten. ISBN 978-3-423-21330-1.

Christine Féret-Fleury, Das Mädchen, das in der Metro las (DuMont 2018) 172 Seiten. ISBN 978-3-8321-9886-2.

Jamila Gavin, Der Ozean des Mondes (Ravensburger 2005) 413 Seiten. ISBN 978-3-473-34447-5.

Charlotte Lyne, Die zwölfte Nacht (blanvalet 2008) 650 Seiten. ISBN 978-3-442-36717-7.

Germaine Paulus, Pfuhl (The Dandy Is Dead 2018) 323 Seiten. ISBN 978-3-947652-00-6.

Fabienne Siegmund, Goldstaub (Ulrich Burger Verlag 2013) 171 Seiten. ISBN 978-3-943378-09-2.

Isa Theobald (Hrsg.), 19 Geschichten aus dem Dazwischen (Edition Roter Drache 2018) 199 Seiten. ISBN 978-3-946425-39-7.

Mary Westmacott, Verdrängter Verdacht (Heyne 1988) 252 Seiten. ISBN 10: 3-453-02540-7; ISB 13: 978-3-453-02540-0.

Christa Wolf, August (Suhrkamp 2012) 39 Seiten. ISBN 978-3-518-42328-8.

Rezensiert habe ich zwei Romane von Autorinnen, die ich bereits 2017 gelesen habe:

Mariana Leky, Was man von hier aus sehen kann (DuMont 2017) 320 Seiten. ISBN 978-3-8321-9839-8. >> Rezension.

Zen Cho, Die Magier Seiner Majestät (Knaur 2016) 447 Seiten. ISBN 978-3-426-51914-1. >> Deutschsprachige Rezension. >> English review.

2) Welches Buch einer Autorin ist Dein diesjähriges Lesehighlight? (Warum?)

Eines meiner Highlights war Christine Féret-Fleurys „Das Mädchen, das in der Metro las„, weil es sehr eindrücklich die Macht zeigt, die Bücher durch die darin enthaltenen Geschichten auf unser Leben haben können. Aus diesem Werk stammt auch eines meiner liebsten Zitate, das ich im Rahmen eines Vortrags auf der AktivistA 2018 den Anwesenden näherbrachte:

Sie hatte für sich herausgefunden, ja, sie war mittlerweile überzeugt davon, dass sich in den Tiefen der Bücher jede Art von Krankheit und Leiden fand und deren Heilung. Sie steckten voll Verrat, Einsamkeit, Mord, Wahn und Wut, es gab alles, was einem das eigene Leben schwermachte und es ruinierte, vom Leben der anderen ganz zu schweigen, und konnte es dann nicht lebensrettend sein, über bedruckten Seiten Tränen zu vergießen? Man mochte in einem afrikanischen Roman oder in einer Erzählung aus Korea auf einen Seelenverwandten treffen, und begriff man so nicht, wie sehr die Leiden der Menschen einander ähnelten, wie wenig Unterschiede es eigentlich gab, wie einfach es war, miteinander zu reden, einander anzulächeln, zu berühren und wahrzunehmen, es spielte keine Rolle, auf welche Weise – um einander im täglichen Leben weniger Schmerz zuzufügen?
Christine Féret-Fleury, Das Mädchen, das in der Metro las (2018) S. 156.

Weitere Highlights waren Christian von Asters „Der Orkfresser„, Agatha Christies „Verdrängter Verdacht„, Isa Theobalds Anthologie „19„, Deniz Utlus „Die Ungehaltenen„, Charlotte Lynes „Die zwölfte Nacht„, diverse Kurzgeschichten aus diversen Anthologien sowie die Asterschen und Steenbergschen „Wutbriefe„. Zumindest waren das die Werke, die mich am nachhaltigsten bewegt haben.

3) Welche Autorin hast Du in diesem Jahr für Dich entdeckt und was macht Sie für Dich so besonders?

Rita Falk. Ich mag ihren Stil, der einfach, ehrlich und direkt ist. Und sehr sympathisch.

4) Welche  weibliche Lebensgeschichte bzw. Biografie hat Dich in diesem Jahr besonders beeindruckt (und warum?)

Abgesehen von meiner eigenen?

Die von Isa Theobald und Germaine Paulus, die gemeinsam das Lesezimmer im Viertel (auch bekannt als „Unterdeck„) stemmen, schreiben, rezensieren, herausgeben, lektorieren und ganz nebenbei noch Hobbies haben. Allerdings muss ich zugeben, dass ich hier nichts ausmachen kann, was diese Biographien spezifisch „weiblich“ macht – wenn eins vom Umstand absieht, dass beide Personen weiblichen Geschlechts sind.

5) Welches Buch einer Autorin möchtest Du in 2019 unbedingt lesen?

Zuerst dachte ich: Bisher gar keines. Weil ich mir meine Bücher nicht nach Autor*in aussuche, sondern nach Inhalt. Selbst dann nicht, wenn ich von der- oder demjenigen schon einiges gelesen habe. Nicht mal Christian von Aster bildet da eine Ausnahme. Ich kann es gar nicht oft genug betonen.

Aber dann fiel mir ein, dass ich mir von Rita Falks Eberhofer-Krimis bereits Band 2 und 3 besorgt habe. Wie gesagt, ich schätze ihren Stil und die Bücher bieten herrliche Kurzweil.

Als nächstes kam die von Isa Theobald, Diana Kinne und Fabienne Siegmund herausgegebene Anthologie „Dunkle Ziffern“ in den Sinn, die demnächst in Druck gehen dürfte, aber daran haben nicht nur Autorinnen mitgewirkt und davon abgesehen spielt auch für mich keine Rolle, ob die Geschichten von Frauen oder Männern geschrieben wurden. Hauptsache, sie haben Stil. Und Inhalt. Und Klasse und so.

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Mein Beitrag zur Blogparade fällt reichlich kritisch aus, was das Thema der Blogparade angeht. Das mag meiner persönlichen Wahrnehmung geschuldet sein. Die nicht richtiger ist als die Wahrnehmung anderer. Nur anders. Nicht männlich oder weiblich. Sondern persönlich. Individuell.

So, wie die Personen hinter den Büchern.

 

5 Gedanken zu „Warum ist das für andere so wichtig?“

  1. Sehr schön. Ich hab wesentlich weniger nachgedacht, bevor ich dir Fragen beantwortet habe, was der Tatsache geschuldet sein mag, dass ich nach 22 Uhr gestern an leichter Übermüdung litt. Und da entstand das Posting.
    Was du über Germaine Paulus und Isa Theobald geschrieben hast, trifft den Nagel auf den Kopf: Die machen halt einfach geiles Zeug. Ich würde das geile Zeug aber genauso geil finden, wenn Germaine ein German wäre. Mir fällt jedoch auf, dass ich gewisse Sorten Geschichten bevorzuge, und auf die scheinen derzeit eher Frauen abonniert. Wobei ich sagen muss: Sehr viel wichtiger als das Geschlecht der schreibenden Person ist mir, was über wen erzählt wird.
    Als Redakteurin ginge es mir wohl ähnlich wie dir, aber ich bin halt keine Redakteurin. Ich habe keine Ahnung, wie eine Redaktion Bücher auswählt. Ich gehe aber davon aus, dass, wenn sich mal ein Klüngel aus rezensierenden mittelalten Herren gebildet hat, der sich viel auf den eigenen Kunst- und Sachverstand einbildet, dieser in seinen Interessen nicht unbeeinflusst von der Gesellschaft ist. Und wenn sehr viele Leute, deren Lebensumstände sich ähneln, relevante Dinge raussuchen sollen, dann werden diese sich wohl auch ähneln. Der Schluss von sich auf andere ist ja immer der einfachste (und trügerischste).

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    1. Deine Vermutungen bezüglich der Redaktionsauswahl könnten durchaus zutreffen, da der Mensch in erheblichem Maße ein Gewohnheitstier ist. Das hatte ich in dem entsprechenden Abschnitt nicht bedacht, insofern danke für die Anmerkung.

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    1. >>Das will ich auch gar nicht bezweifeln. Natürlich hat jede*r bestimmte Vorlieben hinsichtlich Inhalt, Genre und Stil. Trotzdem – oder vielmehr: Gerade deswegen – halte ich es aber nicht für einen Zufall, dass im Feuilleton überwiegend ältere, weiße Männer über Bücher von anderen älteren, weißen Männern schreiben. Denn die Dinge, die uns interessieren, haben immer auch etwas mit der eigenen Lebenswirklichkeit zu tun. Und die wird eben (noch?) immer auch maßgeblich vom Geschlecht bestimmt.<<
      Die Lebensrealität wird leider vom Geschlecht bestimmt, ob eins will oder nicht, ob eins sich mit dem Geschlecht identifiziert bzw. oder ob das eigene Geschlecht für eins eine Rolle spielt oder nicht. Das würde ich so unterschreiben.
      Diesen Aspekt bezog ich in meinem Beitrag tatsächlich nicht wirklich in Betracht, obwohl das auch meine Auswahl beeinflusst. So lese ich beispielsweise lieber Bücher, in denen es möglichst wenig um Sexuelles geht, weil ich schon im Alltag keinen emotionalen Bezug dazu habe.

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